Samstag, 9. Juni 2007

"Der ist ja wirklich schief!" - Auswärtsspiel in Pisa



„Ich habe ein eigenes Büro!“, ruft Erasmus von Rotterdam begeistert. Ein Student der Uni Pisa hatte ihm auf seine Vorstellung „Ciao, ich bin Erasmus“ den Weg dorthin gewiesen.

Milo, der eigentlich Maximilian heißt und die Rolle des Erasmus mit herrlich österreichischem Akzent gibt, ist nicht nur Hauptdarsteller, sondern auch Autor des Erasmus-Stückes, das die Erasmus-Studis aus Pisa am Donnerstag beim dortigen„Erasmus-Day“ aufgeführt haben. Das Stück, in dem Erasmus von Rotterdam und Sokrates auf die Erde zurückkehren um nachzusehen was aus ihrem geistigen Erbe geworden ist, ist eine Parodie auf und eine ganz persönliche Liebeserklärung an die Erasmuszeit in Pisa, wir „Römer“ müssen uns deshalb viele der Insider nachher erklären lassen.

Joana und ich hatten die Aufführung als Gelegenheit für einen Pisa-Trip genutzt. Ich war ja eh noch mit der Rückreise aus Deutschland beschäftigt: Nach acht Tagen daheim und vieren am Gardasee bin ich Donnerstagmorgen mit dem Zug in Desenzano losgefahren und über Mailand und Genua abends schließlich in Pisa angekommen. Die Premiere sollte an diesem Abend ganz besonders gefeiert werden: „Jetzt geht’s mit dem Party-Train nach Florenz!“, rufen Milo und die anderen Pisaner begeistert. Von Pisa selbst hatten wir bisher eigentlich nur den Bahnhof gesehen, zu dem es nach einem Abstecher zu Mauros (Portugiese) WG, wo wir unser Gepäck deponierten, auch sofort wieder zurückging. Keine Nachtleben-Studien also in Pisa - Leider! Trotzdem haben wir uns auf den ersten kurzen Fußmärsche schon einen Eindruck von Pisa verschafft: Hier ist es tausendmal ruhiger als in Rom! Mit seinen knapp 90.000 Einwohnern ist Pisa einfach eine schnuckelige Kleinstadt. Der Corso Italia, auf dem wir zum Bahnhof laufen, ist eine schattige Fußgängerzone, nicht zu vergleichen mit der lärmenden Via del Corso in Rom. Während wir das holprige Pflaster entlanggehen kann ich mich einer kurzen Kleinstadt-Sehnsucht nicht erwehren: Hier fahren alle Fahrrad, zur Uni kann man laufen, zu den Freunden ist es zu Fuß auch nur ein Katzensprung. Niemand ist auf Nachtbusse und stundenlange Wartezeiten angewiesen. „Dafür wird’s dir hier spätestens nach einem halben Jahr total langweilig!“, meint Mauro. „Immer dieselben Kneipen, dieselben Leute, irgendwann möchtest du einfach mal was anderes sehen.“

Der „Party-Train“ scheint für viele also eine willkommene Abwechslung. Um halb zehn steigen rund 60 Erasmus-Studis aus Pisa allesamt ohne Biglietto in den Zug nach Florenz und belagern zwei Großraumabteile. Nach gut eineinhalb Stunden stehen wir in Florenz vorm „Central-Park“ – einer Outdoor-Disko im Parkcafé-Format. Also gar nicht mein Ding eigentlich! Egal, ich kippe mir den letzten Schluck Limoncello aus dem Pappbecher in den Rachen und fühle mich gut vorbereitet. Die Musik ist unsäglich, würde das mal irgendwo zwischen einer Pseudo-Nobel-Disse am Ballermann oder Ibiza ansiedeln. Trotz Brechreiz-Ambitionen bezüglich dem was da aus den Boxen dröhnt, kann ich mich der wogenden Erasmus-Masse nicht entziehen: Ich werde mitgezogen, mitgetragen, mein verkrüppeltes Rhythmus-Gefühl fällt kaum einem mehr auf.

Gegen fünf wollen die Spanier rumknutschen. Dafür haben sie sich ein simples Spiel ausgedacht: Sie fischen die Eiswürfel aus ihren Drink, stecken sie sich in den Mund und reichen sie oral von einem zum nächsten. Hallo Herpes!!!
Gegen sechs will ich nur noch in mein Bett, vor uns liegt aber noch die Rückreise nach Pisa. Diesmal kaufen Joana und ich ein Ticket, Mauro und rund zehn andere, die erneut darauf verzichtet haben, werden prompt kontrolliert. Der genervte Schaffner hat verständlicherweise keine Lust auf Diskussionen mit den uneinsichtigen Alkohol-Leichen (allesamt Jurastudenten übrigens) und lässt sie kaum in Pisa angekommen einfach von den Carabinieri abholen.

Gegen halb acht sitzen Joana und ich also vor der Polizei-Inspektion Pisa und warten darauf, dass die Hintertür Mauro wieder ausspuckt, schließlich hat der die Schlüssel zur Wohnung. Als wir gegen halb neun endlich in Mauros WG ankommen, bin ich wieder hellwach, ich nehme nur schnell eine kalte Dusche (Es gibt aus unerfindlichen Gründen grad keinen Strom in dieser Wohnung!) und starte dann mit einem ersten Pisa-Spaziergang. Immer mehr begeistere ich mich für diese Stadt, während die Geschäfte langsam aufmachen, ich um die Ecke in eine enge Gasse mit einem kleinen Markt drin biege, male ich mir aus, wie es wäre hier zu leben: Ein schöner Tagtraum! Auf der Piazza Martiri della Libertà überfällt mich schließlich doch die Müdikeit: Auf einer Parkbank schlafe ich einfach ein.

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06 Pisa